O’zapft is – Und die Maßkrüge fliegen – Eintrag 84

O’zapft is: Und die Maßkrüge fliegen – Achtung, Frauen und Kinder zuerst!

Liebes Tagebuch,

Willkommen zur alljährlichen Inszenierung bayerischer „Tradition“: Das Oktoberfest – eine glorreiche Mischung aus maßlosen Bierorgien, fragwürdigen Trachten und der unvermeidlichen Frage: „Was feiern wir hier eigentlich noch?“

Bevor wir uns dem wahren Kern dieses Fests widmen, sollten wir eine wichtige Frage klären: Was sollen unsere Kinder von diesem „Fest der Kultur“ lernen? Etwa, dass ein kräftiger Schluck Bier der Schlüssel zu enthemmtem Verhalten ist? Oder dass eine Frau im Dirndl automatisch das Recht auf ihren Körper verliert, sobald die Sonne untergeht? Großartig, oder? Das ist doch das Vorbild, das wir uns für die nächste Generation wünschen.

Realität und Vorbilder

Stellen wir uns die Szene vor: Tausende in Tracht, der Alkoholpegel steigt, und – Überraschung! – die Hemmschwellen sinken. Frauen, die sich trauen, ein hübsches Dirndl zu tragen, haben auf einmal auch „Ja“ zu allem anderen gesagt, oder? Falsch! Aber das scheint den Betrunkenen egal zu sein. Irgendwann wird der Maßkrug zur Einladung für Übergriffe – als wäre das ein Grund, stolz auf dieses Spektakel zu sein.

Die Kinder? Sie rennen irgendwo zwischen den Bierzelten herum, bestaunen die blinkenden Lichter und den riesigen, besoffenen Onkel, der kaum noch aufrecht stehen kann. „Schaut mal, Kinder, so feiert man richtig! Wenn ihr groß seid, könnt ihr auch mal so toll in der Ecke liegen.“ Wer braucht schon Anstand, Respekt oder Selbstkontrolle, wenn man Maßkrüge heben kann?

Helden des Alltags

Es gibt aber auch die anderen Männer. Die, die wissen, was Respekt bedeutet. Die Helden, die sich vor ihre Frauen, Familien oder sogar fremde Frauen stellen, wenn wieder ein Besoffener meint, sein Bier verleihe ihm Superkräfte – inklusive des Rechts, alles anzufassen, was sich nicht wehren kann. Diese Männer sind die letzten Bastionen der Zivilisation auf der Wiesn und spielen oft die Rolle des Babysitters für die Eskapaden anderer.

Und was bekommen sie dafür? Ein Schulterklopfen? Kaum. Eher einen Schlag in den Rücken, einen zynischen Spruch à la „Was soll das, is doch nur Spaß“ oder gleich einen Maßkrug an den Kopf. Wenn du dich wie ein vernünftiger Mensch verhältst, hast du offensichtlich das Oktoberfest falsch verstanden. Da bist du der Spielverderber, der Moralapostel, der Typ, der „den Spaß verdirbt“. Ja, solche Männer gibt es – und sie wissen, dass ein Dirndl nicht automatisch „ja“ heißt.

Ein Blick in die Vergangenheit

Falls wir uns daran erinnern wollen, was das Oktoberfest eigentlich mal war (also bevor es zum ultimativen Saufgelage mutierte): Ursprünglich war es eine Feier zur Hochzeit von Kronprinz Ludwig und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen im Jahr 1810. Eine romantische Geste, bei der die Münchner Bevölkerung eingeladen wurde, das junge Glück zu feiern. Pferderennen, traditionelle Musik, Tanz – ihr wisst schon, diese charmanten Kleinigkeiten, die heute in der Masse von Bier und Bratwurst untergehen.

Damals ging es um Gemeinschaft, Freude und (jetzt haltet euch fest) sogar um Respekt. Ein Fest, das Menschen zusammenbringen sollte – nicht, um sich gegenseitig anzupöbeln, sondern um gemeinsam zu feiern. Keine Maßkrüge, die durch die Gegend flogen, keine Dirndl als Einladung zu Übergriffen. Nur die unschuldige Freude an einem Fest für alle.

Ein neuer Ansatz für die Zukunft

Sarkasmus beiseite: Was wäre, wenn wir das Oktoberfest neu definieren? Ein Fest, bei dem Frauen nicht als Ziele, sondern als gefeierte Gäste im Mittelpunkt stehen – wo „Dirndl“ nicht gleichbedeutend mit „Hier bin ich, mach mit mir, was du willst“ ist? Ein Fest, bei dem unsere Kinder nicht mit dem Bild von Betrunkenen und übergriffigen Scherzen aufwachsen, sondern mit der Vorstellung, dass Feiern auch mit Anstand und Respekt geht?

Wie wäre es mit einem Oktoberfest, bei dem der Maßkrug nicht die Hauptrolle spielt, sondern echte Freude, echte Gemeinschaft und echte Verantwortung? Wenn wir diese Vision umsetzen können, wird das Oktoberfest nicht nur ein Fest der Bierverschwendung sein, sondern ein Fest, das uns als Menschen zusammenbringt.

O’zapft is?

Ja, aber wie wäre es, wenn wir die Maßkrüge durch etwas anderes ersetzen – vielleicht durch Verständnis, Miteinander und echte, ungeschönte Freude? Das wäre doch ein Grund zum Feiern!

Mere de Belle

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